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Der Wanderer und die Last die nie ihm gehörte
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Ein Wanderer machte sich auf, auf große Reise. Er packte alles Hab und Gut ein, was er fand, denn er wollte vorbereitet sein. Schwer schleppte er sein Gepäck über Stock und Stein, Wald und Täler - bis in die vollkommene Erschöpfung.

Er schleppte so schwer, dass er der Ohnmacht näher war als dem Bewusstsein. Seine Füße schmerzten bei jedem Tritt, seine Handgelenke, in denen er schwere Taschen schleppte, verweigerten ihren Dienst.

Doch der Wanderer wollte nicht aufgeben. Er schwor sich, sein Ziel zu erreichen und ans andere Ende des Landes zu gehen, weil er wusste, wenn er erstmal die fremde Stadt erreichen würde, wäre er glücklich. Also ging er weiter.

Mehrfach brach er zusammen, rappelte sich wieder auf. Ihm wurde schwarz vor Augen, doch konnte er auf kein Stück seines Hab und Gutes verzichten. Wer weiß, wann er dieses oder jenes Teil auf seiner Reise gebrauchen würde?

Eines Tages versagte sein Körper. Er brach mitten auf einem Waldweg zusammen. Finsterheit machte sich in ihm breit. Alles war pechschwarz und dumpf.

Als er erwachte, stand ein Mädchen vor ihm. Vielleicht 8 Jahre alt. Sie schaute ihn verwundert an, begutachtete seine schweren Taschen, sein Gepäck - die blutenden Hände und geschwollenen Füße.

»Was macht Ihr hier mit all Eurem Gepäck inmitten des Waldes?«, wollte sie wissen.

Der Wanderer verstand zunächst nicht. Mühsam erhob er seinen Oberkörper vom Waldboden, der Boden klebte an ihm.

»Nun, ich unternehme eine Reise in eine fremde Stadt. Dort werde ich mein Glück finden«, sagte der Wanderer mit zitternder Stimme.

»Aber wozu braucht Ihr so viel Gepäck? Ich kenne Wanderer wie Euch; nie habe ich einen von ihnen mit so vielen Dingen gesehen, wie Ihr sie mit Euch führt«, sagte das aufmerksame kleine Mädchen.

»Auf Reisen weiß man nie, was man alles gebrauchen kann«, antwortete der Wanderer.

»Und Ihr habt sicher schon alles von den Dingen einmal gebraucht auf dieser Reise, nicht wahr?«, fragte das Mädchen.

Der Wanderer guckte zu Boden und antwortete: »Nun, genau genommen habe ich noch nicht viel von meinen Dingen benötigt. Nur Wasser und Nahrung. Einmal ist mir mein Beinkleid gerissen und ich musste es nähen. Doch wer weiß, was ich sonst noch brauchen werde auf meiner Reise…«, »der Reise ins Glück in der fremden Stadt«, fiel ihm das Mädchen ins Wort. Danach erhob sie sich, blickte dem Wanderer tief in die Augen und sagte: »Nun, dann wünsche ich Euch viel Glück und hoffe für Euch, dass ihr in dieser fremden Stadt finden werdet, wonach sich Euer Herz sehnt. Wenn Ihr nicht vorher in zwei Teile gerissen werdet, wegen all dem unnützen Kram, den Ihr mit Euch führt«.

Ehe der Wanderer etwas hätte erwidern können, war das Mädchen verschwunden.

Der Wanderer schlief wieder ein. Döste sitzend in der Kälte, mit all seinem Hab und Gut auf der Waldlichtung. Doch dann traf ihn die Erkenntnis wie ein Speer mitten ins Herz: Das Mädchen hatte recht! Wie konnte er so töricht sein und so viele Dinge mit sich tragen: Unnützes, wenig Benötigtes, kaum benutztes…

Er ließ alles fallen, was er nicht brauchte. Ließ alles liegen, was ihn schwer machte. Befreite sich von der Last auf seinen Schultern und in seinen Händen. Es war, als wäre er neu geboren. Er ging leicht, beschwingt, frei und ohne, dass ihm etwas fehlte, seinen Weg. Kam viel früher an, als er sich jemals träumen ließ, und wurde glücklich in der fremden Stadt.

Als er wieder zu sich kam, stellte er fest, dass alles nur ein Traum gewesen sein musste.

Er saß kauernd in der Kälte, umzingelt von all seinem Gepäck, und verstand in diesem Augenblick seine Torheit. Auch im echten Leben trennte er sich nun von allem Unnützen und setzte seine Reise fort.


Diese Geschichte ist eine Erinnerung.

Daran, dass wir mit Gepäck durchs Leben laufen, das wir nicht benötigen.

Mit einer Persönlichkeit, einem „Jemand“, der wir gar nicht sind.

Wir tragen seine Wunden.

Müssen ihn heilen.

Erklären unsere Schrägheit mit seiner Kindheit

Wir halten fest an Erinnerungen, die nichts mit uns zu tun haben

Denken, wir sind eine Person, die einen Namen trägt

Wir haben das 100-fache an Gepäck dabei, wie der Wanderer und sind unfähig, auch nur einen Schritt im Leben ohne die Last dieses „Jemand“ zu gehen.

Was ist wahre Freiheit?

Was echte Befreiung?

Es ist das Loslassen der Geschichte, die wir uns selbst jeden Tag erzählen:

»Ich bin so und so, weil mich meine Eltern in der Kindheit… mein Lehrer in der Schule… mein Arbeitgeber im letzten Job…«.

All das sind wir nicht.

Geboren in eine Welt der Illusion erhielten wir einen Namen und eine Persönlichkeit, die seither unser Leben dominieren. Wir meinen, aus ihr heraus leben zu müssen, haben Angst, was geschieht, wenn wir sie loslassen. Können uns nicht vorstellen, was hinter dieser Tür wartet.

In Wahrheit wartet hinter diesem Portal ALLES.

Hinter dieser Tür wartest du selbst.

Als das echte Selbst, das ungeborene Selbst, das du immer warst.

Du brauchst nicht noch mehr Heilung.

Nicht noch ein Seminar.

Nicht den nächsten Guru.

Was du wirklich brauchst, ist die Erinnerung an dich selbst.

Ohne den „Jemand“.

Der Wanderer ist mehr als eine Geschichte.

Es ist die Beschreibung des Lebens, seine Verdammnis und Wiedergeburt.

Maharaya ist Erinnerung. Ist Einladung. Jenseits dieser Person zu blicken. Ist Präsenz und Essenz. Das Jetzt - die köstlichste Frucht, die es jemals gab.

In Verbindung,

Maharaya


P.S.:

Manchmal verirrt sich auch eine Erinnerung...
Durch eine technische Umstellung ist die letzte Geschichte der Woche womöglich nicht bei dir angekommen.
Damit dich künftige Zeilen sicher finden, speichere diese E-Mail gern als vertraut.

P.P.S.:

Teil zwei von der Königstochter muss noch etwas warten. Der Wanderer war wichtiger. Teil 1 kann hier nachgelesen werden.

Vielleicht warst auch du unterwegs,
mit mehr Gepäck als nötig.
Und vielleicht ist jetzt der Moment,
es abzustellen. > Tiefer eintauchen