Teil 1 der Königstochter wartet hier: https://www.maharaya.org/die-konigstochter-und-der-ewige-traum/


Am frühen Morgen verstaute die Königstochter ihr spärliches Hab und Gut und machte sich auf, den eigenartigen Fremden zu treffen, den sie am Vorabend in der Wirtschaft ihres Dienstherren bediente.

Jenen, der sie enttarnte, was sie in große Gefahr brachte, und ihr sagte, er wisse, wer ihr helfen könne.

Seit ihrer Flucht aus dem Palast sind Monate vergangen. Monate, in denen sie aus lauter Furcht nicht sicher war, ob sie den richtigen Entschluss gefasst hatte. Manchmal kamen Zweifel auf und der Drang, umzudrehen und in ihr altes Leben als Thronfolgerin zurückzukehren.

Doch wer einmal losgelaufen ist, kehrt nicht um.

Es war ein kalter Morgen und der Morgentau auf den Blättern spiegelte das restliche Mondlicht. Ihr Atem war warm und erzeugte kleine Nebelschwaden vor ihrem Gesicht.

Ob der mysteriöse Fremde überhaupt Wort halten und wirklich da sein würde?

Im Moment in dem sie sich das fragte, ersah sie einen großen Mann in schwarzer Kutte. Sie erschrak und ihr Herz machte einen Satz. Da war er. Und da war sie, die Wahrheit.

»Seid ihr bereit, Eure Wahrheit zu erfahren, Eure Hoheit?«, fragte der geheimnisvolle Fremde. Und weiter: »Ich war sicher, ihr würdet kommen. Das Risiko, enttarnt zu werden, ist gewiss hoch. Noch dringender dürstet Euer Herz nach Antwort. Ihr sollt sie heute finden, wenn er es euch gestattet«.

»Wer ist er überhaupt?«, wollte die Königstochter wissen.

Doch anstatt Antwort erfuhr sie nur Schweigen und die Einladung, die Kutsche des Fremden zu besteigen. Was sie auch tat. Die Pferde setzten sich in Bewegung, die Räder quietschten, und schon fuhren sie im Morgengrauen vorbei an grünen Feldern und Wäldern, der Wahrheit entgegen.

DER PRIESTER

Sie fuhren eine lange Zeit, in der niemand etwas sprach. Beinahe gespenstisch flog die Zeit vorüber. Als sie ankamen, traute die Königstochter ihren Augen nicht, denn sie hielten vor einer kleinen Kapelle.

Als der Fremde Anstalten machte, die Kutsche zu verlassen, wollte ihm die Königstochter Einhalt gebieten.

»Wie könnt Ihr es wagen, mich zu einer Kirche zu bringen?! Wisst Ihr nicht, dass die Kirche mit jedem Königreich in Verbindung ist? Der Geistliche wird sofort Nachricht über meinen Aufenthalt erstatten. Wie konnte ich nur so töricht sein und Euch mein Vertrauen schenken. Wahrscheinlich seid Ihr doch nur auf die üppige Belohnung meines Vaters aus!«. Die Königstochter spuckte ihre Sätze und verzog ihr tadelloses Gesicht zu einer finsteren Grimasse.

Der Fremde war amüsiert von der Darbietung seines Fahrgastes, sagte kein Wort, streckte den Arm aus und bot ihr eine helfende Hand. Die Königstochter stieg ab, denn was sollte sie auch anderes tun?

»Ihr müsst Euch nicht fürchten. Ich weiß besser als jeder andere, wie die Kirche und ein Königreich funktionieren. Glaubt mir. Dieser Geistliche ist gewiss nicht wie alle anderen. Er ist der Mann, dem ihr Euch ruhigen Gewissens anvertrauen könnt«. Der Fremde, der einst selbst ein Königreich besaß und dessen König war, wusste genau, wovon er sprach.

Der Fremde verwendete ein geheimes Klopfzeichen und kurz darauf öffnete sich die schwere Tür der Kapelle. Ohne ein Wort zu verlieren, traten er und die Königstochter ein. Es war eine kleine Kapelle mit Platz für vielleicht 25 Gläubige. Der Mann, der vor ihnen herging, trug eine rote Kapuze. Es musste ein Diener sein. Er führte sie um den Altar herum, wo sich hinter einem schweren Teppich eine Tür im Boden befand. Er öffnete sie und es kam eine winzige Wendeltreppe zum Vorschein. Alle drei wandten sich hinab in ein Tunnelsystem, welches der Anfang vom Ende von allem war, an was die Königstochter bisher geglaubt hatte.

Am Ende eines langen Korridors befand sich eine schwere Tür. Der Diener verschwand wortlos. Wieder ein geheimes Klopfzeichen. Die Tür öffnete sich. Dahinter verbarg sich ein großer Mann mit weißem Bart und schwarzer Kutte. Er trug ein Lächeln im Gesicht, als er den Fremden vernahm. Das Lächeln wurde größer, als er die Königstochter sah.

»Es ist schön, dich zu sehen, alter Freund«, begrüßte der Geistliche den Fremden mit einem herzlichen Handschlag, der in eine Umarmung mündete. »Habe ich also Recht gehabt damit, was man sich erzählt. Eine waschechte Königstochter schleppst du mir hier an. Seien Sie mir gegrüßt, Eure Hoheit. Es ist mir ein Rätsel und ein Vergnügen sogleich, Sie hier zu begrüßen«, sagte der Geistliche, an die Königstochter gewandt.

»Nun, der Rätsellösung wegen bin ich hier. Ich hatte mir erhofft, dass Ihr mir dabei eine Hilfe sein könnt. Doch zunächst muss ich sicherstellen, dass Ihr mich nicht an meinen Vater ausliefert. Ich besitze im Moment nicht viel, aber wenn Ihr mir Euren Preis…« — da unterbrach sie der Geistliche: »Ihr schuldet mir rein gar nichts. Und für Eure Sicherheit ist gesorgt, dafür verbürge ich mich. Wer soll Euch auch hier, in diesem Kellerloch, erwarten? Ihr könnt unbesorgt sein. Ginge es uns um Verrat, so hätte mein alter Freund, der Euch aufgegabelt hat, längst verpfiffen. Wusstet ihr, dass er als Junge in Eurem Alter bereits ein König war? Und wusstet ihr, dass er sein gesamtes Königreich aufgab, aus dem gleichen Grunde wie ihr? Sein Herz war auch zerrissen von der Suche nach Antworten auf Fragen, die er noch gar nicht kannte. Und ich, ich bin im Augenschein des Tages ein Geistlicher. Doch dies ist lediglich die Fassade, die ich aufrecht erhalte, um der Wahrheit dienen zu können. Glaubt mir, für mich steht vermutlich mehr auf dem Spiel als für Euch. Mein Leben und das meiner Familie hängen davon ab, dass ich mich auf Euer Schweigen verlassen kann«.

Die Königstochter besah den Fremden. Was hörte sie gerade? Er selbst sei ein König gewesen mit eigenem Königreich? Und er habe es, wie sie, aufgegeben, um eine Antwort zu finden? Weil sein Herz genauso nach Wahrhaftigkeit suchte, wie das ihre? Er blickte sie nur an. Still. Wissend. Klar.

Im nächsten Augenblick sah sie den Geistlichen an, dessen Augen die Wahrheit verkörperten. Sie vertraute ihm. Sie alle mussten sich vertrauen, sonst stünde Leben auf dem Spiel. Schließlich sagte sie: »Auch Ihr könnt Euch meiner Diskretion gewiss sein. Niemals verrate ich einen Verbündeten. Ich danke Euch für Euere Taten. Das werde ich niemals vergessen. Und nun sagt mir, was ich wissen muss. Weshalb war mir das Leben einer waschechten Königin nicht genug? Bin ich nicht ganz bei Trost und habe meinen Verstand verloren«?, fragte die Königstochter.

»Gewiss seid Ihr bei klarem Verstand. So klar wie er nur sein kann. Und vor allem Euer Herz ist rein. Es weist Euch den Weg zur Wahrheit. Und die sollt ihr nun erfahren. Was ich Euch zu sagen habe, ist nichts, was man sich erzählt. Es ist nichts, was man in auch nur einem Geschichtsbuch nachlesen kann. Die Welt, wie Ihr sie kennt, wird danach nicht mehr existieren. So sagt mir, seid Ihr wirklich bereit, Euch darauf einzulassen? Wollt ihr es riskieren, dass ihr niemandem mehr trauen könnt? Ist Euer Herz stark genug, die Wahrheit zu vertragen? Eine die nur die wenigsten Menschen kennen? Diese Wahrheit hat eine solche Tragweite, dass man auf sie vorbereitet werden muss«, sagte der Fremde. Er ergriff das Wort noch vor dem Geistlichen. Seine Worte schnitten die Luft im Raum. Sie waren voller Anmut und Klarheit. Kein Blatt Papier würde zwischen ihn und die Wahrheit hinter dem Leben passen. Die Königstochter musterte ihn, spürte, dass seine Warnung ernst gemeint war. Wusste, sie ist zu weit gegangen, um nun umzukehren.

Schließlich sagte sie: »Ich bin zu weit gegangen, um nun umzukehren. Was auch immer mich hierhergeführt hat: Alles, was ihr sagtet, ist wohl der Preis, den ich bezahlen muss, um zu erfahren, weswegen ich all das aufgegeben habe, was ich in meinem eigenen Königreich vorgefunden hätte«. Die Königstochter war bereit. Der fremde, ehemalige König und der Geistliche in der Doppelrolle besahen sich mit einem Blick, der sagte: Niemand ist bereit für diese Wahrheit. Aber die Königstochter scheint die Entschlossenheit und Aufrichtigkeit mitzubringen, die es als Voraussetzung braucht, um sich der Wahrheit zu nähern. Alles andere würde sich zeigen.

Die Wahrheit ist nicht dasselbe für jeden Menschen. Die Wahrheit ist etwas, das für jeden anders ist. Es gibt nicht die Wahrheit und doch gibt es Wahrhaftiges. Und davon sollte die Königstochter in nächster Zeit einiges erfahren.

FIN

Dies ist Teil zwei der Königstochter, die offensichtlich in mehreren Atemzügen erzählt werden will.

Wir - und auch ich - blicke(n) auf bewegte Zeiten zurück.

Jeder, der diese Texte liest, steht an einem besonderen Punkt im Leben, wo sich die eigene Wahrheit nicht mehr verleugnen lässt. Erlauben wir der Königstochter also, uns behutsam dorthin zu führen, wo wir hinmüssen. Teil drei folgt in Kürze.


P.S.:

Ich weiß das Wenigste über meine Leserinnen und Leser. Alles, was ich sehe, ist, ob eine E-Mail zugestellt wurde oder nicht. Ich weiß nicht, was diese Geschichten mit den Leserinnen und Lesern machen. Ich weiß nur, dass sie geschrieben werden wollen. Und ich mache das gerne. Was ich weiß, ist, dass man in dieser Welt – gleich wo man ist oder wo nicht mehr – Geld braucht, um mit dem fortzufahren, was gesprochen oder geschrieben werden will.

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